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     Für die wirkliche Mowe 
	Jonathan, 
	die in uns allen lebt 
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	I 
	
	Es war Morgen, und die neue Sonne flimmerte golden über dem Wellengekräusel 
	der stillen See.  
	 
	
	Von einem Fischerboot, eine Meile vor der Küste, wurden die Netze 
	ausgeworfen. Blitzschnell verbreitete sich die Nachricht in der Luft und 
	lockte einen Schwarm Seemöwen an. Tausende flitzten hin und her und balgten 
	sich kreischend um ein paar Brocken. Ein neuer Tag voller Geschäftigkeit 
	hatte begonnen.  
	 
	
	  
	Nur ganz draußen, weit, weit von Boot und Küste entfernt, zog die Möwe 
	Jonathan ganz allein ihre Kreise. In dreißig Meter Höhe senkte sie die 
	Läufe, hob den Schnabel und versuchte schwebend eine ganz enge Kurve zu 
	beschreiben. Die Wendung verringerte die Fluggeschwindigkeit; Jonathan hielt 
	so lange durch, bis das Sausen der Zugluft um seinen Kopf nur noch ein 
	leises Flüstern war und der Ozean unter ihm stillzustehen schien. In 
	äußerster Konzentration machte er die Augen schmal, hielt den Atem an, 
	erzwang noch ein... einziges… .kleines...Stück...dann sträubte sich das 
	Gefieder, er sackte durch und kippte ab.  
	 
	Niemals dürfen Seemöwen aufhören zu schweben oder zu fliegen, niemals dürfen 
	sie absacken. Für eine Möwe bedeutet das Schmach und Schande.  
	 
	Aber die Möwe Jonathan, die da so ungeniert und ohne Zaudern nochmals mit 
	ausgespannten Flügeln die schwierige Kurve versuchte und immer langsamer 
	werdend wieder absackte, war kein gewöhnlicher Vogel.  
	 
	Die meisten Möwen begnügen sich mit den einfachsten Grundbegriffen des 
	Fliegens, sind zufrieden, von der Küste zum Futter und zurück zu kommen. 
	Ihnen geht es nicht um die Kunst des Fliegens, sondern um das Futter. 
	Jonathan aber war das Fressen unwichtig, er wollte fliegen, liebte es mehr 
	als alles andere auf der Welt. Diese Neigung machte ihn bei den übrigen 
	Vögeln nicht gerade beliebt, das merkte er bald. Selbst seine Eltern waren 
	unzufrieden, daß Jonathan ganze Tage mit seinen Experimenten im tiefen 
	Gleitflug verbrachte und seine Übungen hundertfach wiederholte.  
	 
	Er entdeckte zum Beispiel, ohne den Grund zu wissen, daß er sich länger und 
	müheloser in der Luft halten konnte, wenn er ganz dicht über dem Wasser 
	dahinflog, nur eine halbe Spannweite seiner Schwingen hoch. Dann endete der 
	Gleitflug nicht mit dem üblichen Aufplatschen der vorgereckten Läufe, er 
	setzte vielmehr mit stromlinienförmig dicht am Körper anliegenden Füßen in 
	langem flachen Gleiten auf. Als er aber dann auch bei Gleitflügen über dem 
	Strand mit angezogenen Beinen zur Landung anzusetzen begann und hinterher 
	die Länge der Gleitspur abtrippelte, da wurden seine Eltern wirklich böse.
	 
	
	  
	
	«Wozu das, Jon? Warum in aller Welt?» fragte seine Mutter. «Ist es denn 
	wirklich so schwer, wie alle anderen zu sein? Warum überläßt du den Tiefflug 
	nicht den Pelikanen oder dem Albatros?! Warum frißt du nicht wie die 
	anderen? Du bist ja nur noch Federn und Knochen, wie siehst du bloß aus.»
	 
	 
	«Das ist mir ganz einerlei, Mama. Ich muß herausfinden, was ich in der Luft 
	kann und was nicht, das ist alles. Ich muß es einfach wissen.»  
	 
	«Sieh einmal, Jonathan», sagte sein Vater nicht unfreundlich. «Bald kommt 
	der Winter. Da gibt es nicht viele Boote, und die Fische schwimmen nicht 
	mehr dicht unter der Oberfläche, sondern in der Tiefe. Wenn du unbedingt 
	etwas lernen willst, dann lerne, wie man sich sein Futter beschafft. 
	Fliegerei, gut und schön, aber von einem Gleitflug kann man nichts abbeißen, 
	verstehst du? Zweck des Fliegens ist, daß man etwas zu Essen hat, vergiß das 
	nicht.»  
	 
	Jonathan nickte gehorsam. Einige Tage lang versuchte er, genauso wie die 
	übrigen Möwen zu sein; er gab sich wirklich alle Mühe, er flatterte und 
	kreischte mit dem Schwarm um die Anlegestellen und Fischerboote und 
	schnappte im Sturzflug nach Fischabfällen und Brotkrumen, aber er war nicht 
	glücklich dabei.  
	 
	Es ist so sinnlos, dachte er und ließ absichtlich eine mit Mühe ergatterte 
	Sardine fallen, die ihm eine alte hungrige Möwe abjagen wollte. Schade um 
	die Zeit — wieviel könnte ich da richtig fliegen üben. Ich muß noch so viel 
	lernen!  
	 
	Und so dauerte es denn nicht lange, und die Möwe entwischte wieder, wagte 
	sich weit auf die offene See hinaus und machte hungrig, aber glücklich neue 
	Flugversuche.  
	 
	Jetzt ging es Jonathan um die Geschwindigkeit. Nachdem er eine Woche geübt 
	hatte, wußte er darüber mehr als jede andere Möwe. Aus dreihundert Meter 
	Höhe stürzte er sich nach kräftigen Flügelschlägen tollkühn in die Tiefe, 
	den Wellen entgegen, und lernte durch Erfahrung, warum keine Möwe mit voller 
	Wucht solche Sturzflüge versucht. Schon nach sechs Sekunden schoß er mit 
	einer Geschwindigkeit von mehr als hundert Stundenkilometern abwärts, und 
	bei diesem Tempo können die Schwingen dem Luftdruck nicht standhalten.  
	 
	Es war immer das Gleiche. So sehr er sich auch bemühte und anstrengte — bei 
	hoher Geschwindigkeit verlor er die Kontrolle über den Flügelschlag.  
	 
	Er stieg hoch auf, mit voller Kraft, setzte flatternd zum senkrechten 
	Sturzflug an, und dann versagte immer wieder der linke Flügel im Aufschlag, 
	daß der Körper heftig nach links abdrehte. Er fing sich durch Abstellen des 
	rechten Flügels wieder und schoß wie ein Blitz kreiselnd schräg nach rechts 
	abwärts.  
	 
	Er konnte gar nicht achtsam genug sein. Zehnmal nacheinander ersuchte er den 
	Sturz, und jedesmal zerflatterte er bei der hohen Geschwindigkeit und 
	klatschte haltlos als wild gestraubtes Federnbündel hart auf dem Wasser auf.
	 
	 
	Schließlich dachte er — tropfnaß —, vielleicht darf man bei hohen 
	Geschwindigkeiten die Flügel nicht bewegen, muß bis zirka fünfzig mit den 
	Flügeln schlagen und sie dann stillhalten.  
	 
	Er versuchte es noch einmal. Aus sechshundert Meter Hohe kippte er, Schnabel 
	senkrecht nach unten zum Sturzflug, flatterte mit voll ausgespannten 
	Schwingen bis zu einer Stundengeschwindigkeit von etwa achtzig Kilometern 
	und hielt sie dann unbeweglich weit ausgespannt. Das erforderte alle seine 
	Kräfte, aber es gelang. Innerhalb von zehn Sekunden hatte er das 
	schwindelnde Tempo von hundertfünfzig Stundenkilometern erreicht und 
	überschritten. Jonathan hatte einen Weltrekord in Geschwindigkeit unter 
	Seemöwen aufgestellt! 
	
	  
	
	Doch der Sieg war trügerisch. Kaum änderte er zum Aufsetzen aus dem 
	senkrechten Sturzflug den Winkel der Flügelstellung, so verlor er die 
	Kontrolle, der Luftdruck traf ihn wie eine Sprengladung. Er schien mitten in 
	der Luft zu explodieren, dann prallte er auf die See auf, die hart war wie 
	Beton.  
	 
	Als er wieder zu sich kam, war es bereits dunkel, er trieb im Mondlicht auf 
	dem Meer dahin. Die Flügel waren zerzaust und schwer wie Blei, doch noch 
	schwerer bedrückte ihn das Gefühl des Versagens. Fast wünschte er, die Last 
	möge ihn sacht auf den Grund drücken, daß alle Mühe ein Ende habe.  
	 
	Doch als er langsam tiefer sank, klang es seltsam dumpf aus ihm heraus: Du 
	darfst nicht aufgeben, aber du bist nur eine Möwe und kannst über deine 
	Natur nicht hinaus. Wärest du zu solchen Flügen bestimmt, dann hättest du 
	dafür Diagramme, Richtlinien im Kopf-Wärest du zum raschen Fliegen bestimmt, 
	du hättest kurze Flügel wie der Falke und würdest Mäuse fressen statt 
	Fische. Dein Vater hatte recht Schluß mit den Torheiten. Flieg heim zu 
	deinem Schwarm und finde dich damit ab, daß eine kleine Seemöwe ihre Grenzen 
	hat.  
	 
	Die Stimme schwieg, und Jonathan mußte ihr zustimmen. Möwen verbringen die 
	Nacht nahe der Küste, auf dem Wasser; und er wollte von jetzt an eine 
	normale Möwe sein, sich dem Schwarm zugesellen, glücklich sein unter 
	seinesgleichen.  
	 
	Erschöpft hob er sich von der dunklen Wasserfläche ab und zog mit mattem 
	Flugelschlag landeinwärts, froh, daß er früher den kräftesparenden Flug in 
	niedriger Höhe geübt hatte.  
	 
	Doch nein, Schluß mit alten Gewohnheiten. Schluß mit allem Lernen. Ich bin 
	eine Möwe, dachte er, ich bin wie die anderen Möwen, ich will auch fliegen 
	wie die anderen Möwen. So stieg er mühsam bis zu dreißig Meter Höhe, schlug 
	angestrengt mit den Flügeln und strebte der Küste zu.  
	 
	Er war erleichtert über die Entscheidung. Er fühlte sich befreit von allem 
	Zwang zum Lernen, von nun an würde es keine Herausforderung mehr geben, 
	keine Fehlschläge. Und es war angenehm, so gedankenlos durch das Dunkel auf 
	die Lichter an der Küste zuzufliegen. Dunkel! Die dumpfe innere Stimme 
	meldete sich, brüchig im Erschrecken. Möwen fliegen nicht bei Dunkelheit! 
	 
	
	  
	
	 
	 
	Jonathan beachtete sie nicht. Schön, dachte er. Mond und Sterne blinken im 
	Wasser und ziehen ihre schmalen Leuchtspuren durch die Nacht. Alles ist 
	friedlich und still...  
	 
	Komm herunter! Möwen fliegen nicht bei Dunkelheit! Nie! Wärest du zum 
	Nachtflug bestimmt, du hättest Augen wie die Eule. Du hättest 
	Blindflugkarten im Kopf! Du hättest die kurzen Flügel des Falken!  
	 
	Doch die Möwe Jonathan, die in dreißig Meter Höhe durch die Nacht flog, 
	achtete nicht auf die Warnung, hörte nur die letzten Worte. Angst, 
	Erschöpfung, gute Vorsätze waren vergessen.  
	 
	Kurze Flügel. Die kurzen Flügel des Falken!  
	 
	Das war die Losung! Was für ein Narr war ich dochl Ich brauche nur winzig 
	kleine Flügel, ich brauche meine Flügel nur einzuziehen, nur mit den 
	Flugelspitzen zu fliegen! Kurze Flügel!  
	 
	Er schwang sich sechshundert Meter über die schwarze See empor, und ohne 
	auch nur eine Sekunde an Mißerfolg und Tod zu denken, faltete er die Flügel 
	an den Rumpf, daß nur die wie schmale Sicheln gebogenen Spitzen dem Wind 
	ausgesetzt waren, dann ließ er sich senkrecht fallen.  
	 
	Tosend brauste die Luft um seinen Kopf. Hundert Kilometer 
	Stundengeschwindigkeit, hundertfunfzig, hundertneunzig und noch mehr. Der 
	Anprall des Flugwindes auf die Flügel war nun nicht annähernd so stark wie 
	vorher: jetzt konnte er sich mit einer ganz leisen Wendung der Flügelspitzen 
	abfangen, aus der Senkrechten in die Waagrechte übergehen und wie eine 
	grauweiße Kugel unter dem Mond über die Wasserfläche hinschießen.  
	 
	Gegen den Wind schloß er die Augen halb und schrie jubelnd. Zweihundert 
	Kilometer in der Stunde in voller Flugbeherrschung! Wenn ich aus der 
	doppelten Höhe herabstoße — wie schnell ich dann wohl bin? Alle guten 
	Vorsätze waren vergessen, waren fortgerissen von diesem 
	Geschwindigkeitsrausch. Ohne Bedenken brach er das Versprechen, das er sich 
	selbst gegeben hatte. Derlei Schwüre gelten nur für Möwen, die mit dem 
	Mittelmaß zufrieden sind. Wer einmal das Außerordentliche erfahren hat, kann 
	sich nicht mehr an die Normen des Durchschnitts binden.  
	 
	Als die Sonne aufging, war die Möwe Jonathan längst wieder bei ihren 
	Flugversuchen. Aus fünfzehnhundert Metern Hohe waren die Fischerboote nur 
	noch Punktchen auf der weiten blauen Wasserfläche, war der Schwarm 
	futtersuchender Möwen nur noch eine blasse Wolke aus kreiselnden 
	Staubteilchen.  
	 
	Und er lebte — leise bebend vor Entzücken, stolz, seine Furcht gezwungen zu 
	haben. Ohne lange Vorbereitungen legte er die Armschwingen fest an, spreizte 
	die geschweiften Handschwingen aus und stürzte sich senkrecht hinab. Bei 
	zwölfhundert Metern über dem Meer hatte er die äußerste Geschwindigkeit 
	erreicht. Wie eine kompakte Wand aus Gebrüll schlug ihm die Luft entgegen 
	und machte weitere Beschleunigung unmöglich. Er flog jetzt abwärts mit über 
	zweihundert Kilometern pro Stunde Er schluckte krampfhaft Entfalteten sich 
	bei diesem Tempo die Flügel ganz wenig, dann würde er in winzige Fetzchen 
	zerplatzen, nichts würde von ihm bleiben. Aber Geschwindigkeit war Macht, 
	war Schönheit, war reines Gluck.  
	 
	Bei dreihundert Metern versuchte er wieder hochzuziehen. Die Flügel dröhnten 
	und schwirrten im übermäßigen Luftdruck, Boot und Möwenschwarm kippten 
	seitwärts ab und schienen dann mit meteorgleicher Schnelligkeit genau in 
	seine Flugbahn zu stürzen.  
	 
	Er konnte nicht anhalten, er wußte nicht einmal, wie er bei diesem Tempo 
	wenden konnte.  
	 
	Zusammenstoß bedeutete Tod.  
	 
	Er schloß die Augen.  
	 
	Und so geschah es, daß die Möwe Jonathan an jenem Morgen, kurz nach 
	Sonnenaufgang, im rasenden Sturzflug wie ein Schuß durch das Zentrum des 
	Mowenschwarms knallte, ein schreckliches, kreischendes Bündel aus 
	Luftwirbeln und Federn. Doch das Glück blieb ihm treu, niemand kam zu 
	Schaden.  
	 
	Als er den Schnabel endlich wieder hochgereckt hielt, flitzte er immer noch 
	pfeilschnell dahin, und als er endlich die Geschwindigkeit genügend 
	verlangsamt hatte und aufatmend die Flügel ausbreitete, war der Fischkutter 
	wieder ein Punkt auf dem Meer, zwölfhundert Meter unter ihm.  
	 
	Er triumphierte. Ich habe höchste Geschwindigkeit erreicht, über zweihundert 
	Stundenkilometer. Ein beispielloser Erfolg, das größte Ereignis in der 
	Geschichte des Schwarms. Eine neue Epoche beginnt. Während er zu seinem 
	einsamen Übungsplatz hinausflog und die Flügel zum Sturzflug aus 
	zweitausendvierhundert Metern einfaltete, beschloß er, nun herauszufinden, 
	wie man im Sturz die Richtung ändern kann.  
	 
	Und auch das gelang Verstellte er nur eine einzige Feder an der Flügelspitze 
	um wenige Millimeter, so erreichte er auch bei großen Geschwindigkeiten eine 
	weiche, fließende Kurve. Doch bis es soweit war, mußte er durch Versuch und 
	Irrtum lernen, daß man bei hoher Geschwindigkeit keinesfalls mehr als eine 
	Feder verstellen durfte, sonst kam man wie eine Gewehrkugel in eine Drehung. 
	So wurde Jonathan die erste und einzige Möwe, die Kunstflugfiguren 
	vollbrachte. 
	
	  
	
	  
	An diesem Tag nahm Jonathan sich nicht die Zeit, den anderen Möwen seine 
	Kunst zu zeigen, er übte weiter bis nach Sonnenuntergang und entdeckte den 
	Looping, die langsame Rolle um die eigene Achse, das Rollen nach Punkten, 
	das verkehrte Trudeln, den Abschwung und das Windrad.  
	 
	Es war Nacht geworden, als die Möwe Jonathan sich wieder bei dem Schwarm an 
	der Küste einfand. Jonathan war schwindlig vor Müdigkeit, aber so glücklich, 
	daß er beim Landen noch einen Looping machte.  
	 
	Wenn die anderen von diesem großen Durchbruch hören, werden sie vor Freude 
	außer sich sein, dachte er. Ein herrliches Leben wird jetzt beginnen. Statt 
	der einförmigen Alltagsplage mit dem ewigen Hin und Her zwischen Küste und 
	Fischkuttern hat unser Leben jetzt einen tieferen Sinn! Wir vermögen uns aus 
	unserer Unwissenheit zu erheben, dürfen uns als höhere Wesen von Können und 
	Intelligenz verstehen Wir werden frei sein! Der Höhenflug ist erlernbar!  
	 
	Die kommenden Jahre lockten und glühten voller Verheißung. Als er landete, 
	hockten die Möwen bei einer Ratsversammlung beisammen. die offenbar schon 
	lange andauerte.  
	 
	In der Tat, sie hatten auf etwas gewartet.  
	 
	«Möwe Jonathan, komm in die Mittel» Der Älteste sprach die Worte ehr 
	zeremoniell In die Mitte kommen, das bedeutete entweder die großte Schande 
	oder die größte Auszeichnung. Man ehrte so die bersten Anführer der Möwen. 
	Natürlich, dachte Jonathan, der Schwarm heute morgen — sie haben den Großen 
	Durchbruch mitangesehen. Aber ich brauche keine Ehrung. Ich will kein Führer 
	werden. Ich möchte sie nur teilhaben lassen an dem, was ich entdeckt habe: 
	möchte ihnen zeigen, welch neue Horizonte sich für uns alle eröffnen.  
	 
	Er trat vor.  
	 
	«Möwe Jonathan», sagte der Alteste. «In deiner Schande tritt in die Mitte 
	vor die Augen deiner Sippe!»  
	 
	Jonathan war wie vor den Kopf geschlagen. Die Beine versagten den Dienst, 
	die Flügel hingen schlaff, er horte nur noch ein Drohnen. In die Mitte 
	treten zur Schande? Unmöglich… Der Große Durchbruch…Sie mißverstehen es… Sie 
	irren sich, sie irren sich.  
	 
	«…wegen skrupellosen Leichtsinns», intonierte die Stimme streng, «mit dem 
	gegen die Würde und die Traditionen der Möwensippe verstoßen wurde…»  
	 
	Zur Schande in die Mitte treten müssen, das bedeutete, daß man ihn aus der 
	Gemeinschaft der Möwen ausstieß, ihn zu einem einsamen Dasein auf den Fernen 
	Klippen verdammte.  
	 
	«…eines Tages, Möwe Jonathan, wirst auch du begreifen, daß sich 
	Verantwortungslosigkeit nicht bezahlt macht. Leben, das ist das Unbekannte, 
	das Unerkennbare.  
	 
	Wir wissen nur eines: Wir wurden in die Welt gesetzt, wir müssen uns 
	ernähren und uns, so lange es nur irgend möglich ist, am Leben erhalten.»
	 
	 
	Keine Möwe darf je dem Urteil der Ratsversarmmlung widersprechen, doch 
	Jonathan erhob die Stimme. «Verantwortungslosigkeit?» rief er aus. «Meine 
	Brüder! Keiner kann mehr Verantwortungsbewußtsein beweisen als eine Möwe, 
	die ein höheres Ziel erkennt, die dem Ruf folgt und den Sinn des Lebens 
	findet. An die tausend Jahre sind wir nur mühselig hinter Fischabfällen 
	hergewesen, jetzt aber hat unser Leben einen neuen Inhalt bekommen — zu 
	lernen, zu forschen, frei zu sein! Gebt mir eine Chance, laßt mich euch 
	zeigen, was ich gefunden habe…» Der Schwarm hockte wie aus Stein.  
	 
	«Die Bruderschaft ist zerbrochen», intonierten die Möwen einmütig im Chor, 
	schlossen feierlich die Augen und wandten sich von ihm ab.  
	 
	
	  
	
	So verbrachte Jonathan sein weiteres Leben in Einsamkeit und flog weit über 
	die Fernen Klippen hinaus. Nicht die Einsamkeit bedrückte ihn, nur die 
	Tatsache, daß die anderen Möwen die Herrlichkeit des Segens nicht erleben 
	konnten, daß sie sich weigerten, die Augen aufzumachen zu sehen.  
	 
	Täglich wurden seine Fähigkeiten vollkommener. Er lernte, im Sturzflug in 
	Stromlinienhaltung weit genug ins Wasser einzutauchen, um die seltenen 
	wohlschmeckenden Fische zu erlangen, die in Schwärmen unter der Oberfläche 
	des Ozeans dahinzogen.  
	 
	Er brauchte keine Fischkutter und kein altbackenes Brot mehr zum Leben Er 
	lernte im Flug in der Luft zu schlafen, indem er sich bei Nacht quer zum 
	Wind stellte, der von der Küste herblies. So vermochte er zwischen 
	Sonnenuntergang und Sonnenaufgang hundertsechzig Kilometer zurückzulegen. 
	Mit Hilfe des gleichen inneren Richtungssinnes durchstieß er die schweren 
	Seenebel und stieg über sie hinaus in blendend lichte Höhen auf…indes die 
	anderen Möwen zur selben Zeit auf dem Boden hockend nichts als Nebel und 
	Regen kannten.  
	 
	Er lernte, auf Hochwinden weit ins Land hinein zu schweben, um dort 
	köstliche Insekten zu verspeisen. Was er sich einst für seinen Schwarm 
	erhofft hatte, ihm allein wurde es zuteil; er lernte, was wahrhaft Fliegen 
	heißt, und er bereute nie den Preis den er dafür bezahlt hatte. Die Möwe 
	Jonathan entdeckte, daß nur Langeweile, Angst und Zorn das Leben der Möwen 
	verkürzen, nachdem diese drei von ihm gewichen waren, lebte er ein langes 
	und ein wahrhaft lebenswertes Leben.  
	 
	Und eines abends geschah es: Zwei Möwen kamen, und sie fanden Jonathan 
	friedvoll und einsam unter seinem geliebten Himmel schwebend. Sie tauchten 
	neben seinen Schwingen auf, sie schimmerten in reinstem Weiß und erhellten 
	mit sanftem, sternenhaftem Leuchten die Nacht Das Schönste aber war ihr 
	meisterhafter Flug. Ihre Schwingen bewegten sich in vollkommenem Gleichmaß, 
	und die Flugelspitzen hielten sich in geringem Abstand neben den seinen. 
	 
	
	  
	
	Wortlos unterwarf Jonathan sie seiner Prüfung, die noch nie eine Möwe 
	bestanden hatte. Er drehte die Flügel und verlangsamte seinen Flug fast bis 
	zum Stillstand. Die beiden strahlenden Vögel taten das gleiche mühelos, ohne 
	die Lage zu verändern. Sie wußten um den langsamen Flug.  
	 
	Er legte die Flügel ein, kippte vornüber und ließ sich in einen rasenden 
	Sturzflug fallen. Sie stürzten mit ihm, schossen in geschlossener Formation 
	senkrecht hinab.  
	 
	Schließlich zog er bei gleichbleibender Geschwindigkeit kerzengrade hoch in 
	eine endlose, vertikale Spirale, und sie folgten wie schwerelos. Er fing 
	sich zu horizontalem Flug ab und schwieg lange. Dann fragte er „Wer seid 
	ihr?»  
	 
	«Wir sind von deiner Art, Jonathan. Wir sind deine Brüder». Stark und ruhig 
	tönten die Worte. «Wir sind gekommen, um dich hoher hinauf zu geleiten, wir 
	holen dich heim».  
	 
	«Ich bin nirgends daheim. Ich gehöre zu keinem Schwarm. Ich bin ein 
	Ausgestoßener. Und wir fliegen jetzt schon sehr hoch, wir fliegen auf dem 
	Gipfel des Großen Bergwindes Viel höher kann ich diesen alten Leib nicht 
	mehr erheben.»  
	 
	«Doch, du kannst es, Jonathan. Du hast viel gelernt. Die eine Lehrzeit ist 
	zu Ende, die Zeit ist gekommen, um in einer anderen neu zu beginnen.»  
	 
	Das Licht, das ihm sein Leben lang geleuchtet hatte, das Licht des 
	Verstehens, erhellte auch diesen Augenblick. Die Möwe Jonathan verstand. Sie 
	hatten recht. Er konnte höher fliegen, es war Zeit heimzugehen.  
	 
	Mit einem letzten, langen Blick nahm er Abschied von seinem Himmel, von 
	diesem majestätischen silbernen Reich, das ihn soviel gelehrt hatte.  
	 
	«Ich bin bereit», sagte er dann.  
	 
	Und die Möwe Jonathan erhob sich mit den beiden sternenhellen Möwen und 
	entschwand in vollkommene Dunkelheit.  
	 
	 
	II 
	 
	
	  
	Das also ist das himmlische Paradies, dachte er amüsiert. Seine 
	Empfindungen waren nicht besonders ehrerbietig, wo er doch anscheinend 
	gerade in den Himmel kam. Während er in enger Flugformation mit den zwei 
	strahlenden Möwen über die Wolken aufstieg, begann auch sein Gefieder so 
	hell zu strahlen wie das ihre. Immer hatte hinter den goldenen Augen 
	unwandelbar jung die Möwe Jonathan existiert, und sie lebte weiter, nur die 
	äußere Form verwandelte sich  
	 
	Es schien der vertraute Körper zu sein, doch Jonathan flog besser und 
	leichter als je zuvor. Ich werde mit halber Kraft zweifache Geschwindigkeit 
	erreichen, dachte er, werde die Leistungen meiner besten Erdentage 
	verdoppeln.  
	 
	Sein Gefieder leuchtete jetzt ganz weiß, und seine Schwingen schimmerten 
	glatt und vollendet wie poliertes Silber. Voller Freude erprobte er sie und 
	ließ seine Kraft in diese neuen Flügel einströmen.  
	 
	Bei vierhundert Stundenkilometern spürte er, daß er sich seiner 
	Höchstgeschwindigkeit im Horizontalflug näherte. Bei vierhundertfünfzig 
	hatte er das äußerste erreicht und war fast etwas enttäuscht. Auch dieser 
	neue Körper war also in seinen Möglichkeiten eingeschränkt. Er hatte zwar 
	seinen früheren Weltrekord überboten, doch immer noch gab es eine Grenze, 
	die ihn zu großen Anstrengungen herausforderte. Im Himmel, dachte er, im 
	Himmel sollte es keine Beschrankungen mehr geben.  
	 
	Die Wolkendecke riß auf, seine Begleiter riefen: „Glückliche Landung, 
	Jonathan,» und lösten sich in durchsichtige Luft auf. Er schwebte über einem 
	Meer auf eine zerklüftete Küste zu. Einzelne Möwen kämpften mit den 
	Aufwinden über den Klippen Fern im Norden, fast am Rande des Horizonts, 
	kreisten noch ein paar Vögel. Neue Ausblicke, neue Gedanken, neue Fragen. 
	Warum nur so wenig Möwen? Der Himmel müßte voll von Schwärmen sein. Und er 
	war so müde. Im Himmel dürfte es doch keine Müdigkeit geben. Muß man hier 
	auch schlafen? Schlafen? Wo hatte er das Wort gehört? Die Erinnerung an sein 
	Erdendasein verflüchtigte sich. Gewiß war die Erde ein Platz gewesen, wo er 
	manches gelernt hatte, aber die Einzelheiten verschwammen. Futter suchen 
	oder so ähnlich und — ja —Verbannung.
	 
	
	  
	 
	 
	Die Möwen vor der Küste flogen ihm zur Begrüßung entgegen, doch gaben sie 
	keinen Schrei, keinen Laut ab. Trotzdem fühlte er, daß er willkommen war und 
	daheim. Es war ein großer Tag für ihn, aber an den Sonnenaufgang dieses 
	Tages erinnerte er sich nicht mehr.  
	 
	Er kreiste tiefer, flatterte nah über dem Boden fast auf der Stelle, dann 
	setzte er leicht auf dem Sand auf. Die anderen Möwen aber landeten 
	schwebend, keine bewegte auch nur eine Feder. Die schimmernden Flügel weit 
	ausgespannt drehten sie in den Wind, dann änderten sie, Gott weiß wie, die 
	Stellung der Schwungfedern und kamen im Augenblick zum Stillstand, da sie 
	mit den Füßen den Boden berührten. Die vollkommene Korperbeherrschung war 
	herrlich. Doch Jonathan war zu müde, es auch so zu versuchen. Da, wo er 
	aufgesetzt hatte, war er im Stehen eingeschlafen.  
	 
	Dann folgte ein Tag dem anderen. Auch hier übte Jonathan unablässig neue 
	Flugtechniken wie in dem Leben, das hinter ihm lag. Nur eines war anders. 
	Die Möwen hier fühlten wie er. Jede einzelne erstrebte die höchste 
	Vollkommenheit auf dem Gebiet, das allen das wichtigste war: dem Fliegen Es 
	waren großartige Vögel, alle. Täglich verbrachten sie viele Stunden damit, 
	ihre Flugtechnik zu üben und sich im Kunstflug zu erproben.  
	 
	Jonathan vergaß alles Frühere. Versunken war die Welt, aus der er gekommen 
	war, vergessen der Schwärm, der die Augen gegen die Herrlichkeit des 
	Fliegens verschlossen hatte und die Flügel einzig als Mittel zum Zweck beim 
	Futtersuchen und Raufen um die Nahrung gebrauchte. Doch ab und an blitzte 
	sekundenlang die Erinnerung auf, und dann kamen die Fragen. So geschah es an 
	einem Morgen, als sein Lehrer und er nach einer Serie von Loopings mit 
	anliegenden Flügeln auf dem Wasser ausruhten.  
	 
	«Wo sind sie denn alle, Sullivan?» dachte er. Er war jetzt mit der mühelosen 
	Gedankenübertragung vertraut, die hier das Kreischen und Krächzen der Möwen 
	auf der Erde ersetzte. «Wieso sind nicht mehr von uns hier? Es gab doch…»
	 
	 
	«…Tausende und Abertausende von Möwen — ich weiß.» Sullivan schüttelte den 
	Kopf. «Ich kenne nur eine Antwort, Jonathan. Du bist wahrscheinlich einer 
	unter Millionen, die große Ausnahme. Die meisten von uns sind nur ganz 
	allmählich weitergekommen, von einer Welt in die nächste, die dann anders 
	war. Wir vergaßen sofort, woher wir gekommen waren, und es kümmerte uns 
	nicht, wohin wir gingen. Wir lebten nur für den Augenblick. Es ist kaum 
	vorstellbar, durch wie viele Leben wir hindurch mußten, bis wir verstanden, 
	daß Leben mehr ist als Fressen und Kämpfen und eine Vormachtstellung im 
	Schwarm einnehmen. Tausend Leben, zehntausend, und danach vielleicht noch 
	hundert Leben, ehe uns die Erkenntnis aufdämmerte, daß es so etwas gibt wie 
	Vollkommenheit, und dann nochmals hundert Leben, um endlich als Sinn des 
	Lebens die Suche nach der Vollkommenheit zu sehen und zu verkündigen. Diese 
	Regel gilt auch jetzt. Wir erlangen die nächste Welt nach dem, was wir in 
	dieser gelernt haben. Lernen wir nichts hinzu, so wird unsere nächste Welt 
	nicht anders sein als diese, sie bietet die gleichen Beschränkungen, und es 
	gilt, die gleiche bleischwere Last zu überwinden».  
	 
	Er breitete die Schwingen aus und wendete den Kopf in den Wind. «Du aber, 
	Jon», sagte er, «hast so viel auf einmal gelernt, daß du nicht durch viele 
	tausend Leben mußtest, um hierher zu gelangen». Und wieder schwangen sie 
	sich in die Lüfte und setzten ihre Übungen fort. Beim Fliegen in der 
	Formation waren die Drehungen um die eigene Achse besonders schwierig, da 
	die Hälfte der Flugfigur Rückenlage erforderte. Jonathan mußte dabei 
	umdenken, mußte die Flügel zurückstoßen und die Flugelhaltung genau auf die 
	seines Mentors abstimmen. Immer wieder sagte Sullivan: «Versuchen wir es 
	noch einmal, versuchen wir es noch einmal.» Und endlich sagte er: «Gut.» Und 
	sie begannen eine neue Figur zu üben.  
	 
	Hatten die Möwen keine Nachtflüge, so hockten sie beisammen und meditierten. 
	An einem Abend faßte Jonathan sich ein Herz und näherte sich dem Ältesten, 
	der sich, wie es hieß, bald über diese Welt hinaus erheben würde.  
	 
	«Chiang…», begann er ein wenig unsicher.  
	 
	Der Uralte sah ihn gütig an. «Ja, mein Sohn?» Das Alter hatte ihn nicht 
	geschwächt, sondern gestärkt. Er konnte jede andere Möwe im Flug überholen 
	und kannte Techniken, die die anderen erst ganz allmählich erlernten.  
	 
	«Diese Welt ist gar nicht das himmlische Paradies, nicht wahr, Chiang?»  
	 
	Im Mondlicht sah er, daß der Älteste ihm freundlich zunickte. «Du hast 
	wieder etwas dazugelernt, Jonathan», sagte er.  
	 
	«Und was geschieht nachher? Wohin kommen wir dann? Gibt es gar ein 
	Paradies?»  
	 
	«Nein, Jonathan, einen solchen Ort gibt es nicht. Das himmlische Paradies 
	ist kein Ort und ist keine Zeit. Paradies, das ist Vollkommenheit.» Er 
	schwieg einen Augenblick. «Du bist ein sehr rascher Flieger, nicht wahr?»
	 
	 
	«Ich…ich liebe die Geschwindigkeit», sagte Jonathan betroffen, aber doch 
	stolz, daß es dem Ältesten aufgefallen war. «Du wirst zum ersten Mal den 
	Rand des Paradieses streifen, wenn du die vollkommene Geschwindigkeit 
	erreicht hast. Und das bedeutet nicht, daß du in der Stunde tausend oder 
	hunderttausend Kilometer zurücklegen kannst. Selbst wenn du mit der 
	Geschwindigkeit des Lichtes fliegen würdest, hättest du nicht die 
	Vollkommenheit erreicht. Alle Ziffern sind Begrenzungen, Vollkommenheit aber 
	ist grenzenlos. Vollkommene Geschwindigkeit, mein Sohn, das heißt ganz 
	dasein.»  
	 
	Dann war Chiang plötzlich ohne ein weiteres Wort verschwunden und tauchte im 
	gleichen Augenblick weit entfernt an der Küste auf, verschwand sofort wieder 
	und stand neben Jonathan. «Das macht Spaß», sagte er.  
	 
	Jonathan war völlig verblüfft. Er vergaß alle weiteren Fragen nach dem 
	Paradies. «Wie machst du das? Was empfindet man dabei? Wie weit kannst du 
	dich entfernen?»  
	 
	«Man kann überall hinkommen, man muß es nur wirklich wollen. Ich bin überall 
	gewesen und in allen Zeiten, die ich mir vorstellen kann.» Sinnend blickte 
	der Älteste über das Meer. Seltsam. Möwen, die um ihrer begrenzten Wege und 
	Ziele willen die Vollkommenheit des Fliegens verachten, kommen nur langsam 
	vorwärts und nirgendwo an. Die aber um der Vollkommenheit willen des Weges 
	nicht achten, kommen in Sekundenschnelle überall hin. Bedenke immer, 
	Jonathan das himmlische Paradies findet sich nicht in Raum oder Zeit, denn 
	Raum und Zeit sind bedeutungslos. Das Paradies ist…»  
	 
	«Kannst du mich lehren, auch so zu fliegen?» Jonathan bebte vor Sehnsucht 
	nach dem Unbekannten.  
	 
	«Gewiß, wenn du es lernen möchtest.»  
	 
	«So gern. Wann können wir anfangen?»  
	 
	«Wenn du willst, sofort.»  
	 
	«Ich möchte so fliegen lernen,» sagte Jonathan, und seine Augen strahlten 
	vor Eifer. «Sag mir, was ich tun soll.»  
	 
	Chiang setzte seine Worte bedächtig und sah die jüngere Möwe dabei unentwegt 
	prüfend an. «Um in Gedankenschnelle zu fliegen, ganz gleich an welchen Ort, 
	mußt du schon vor Beginn wissen, daß du bereits dort angekommen bist.»  
	 
	Nach Chiangs Worten mußte man also als erstes aufhören, sich selbst als 
	Gefangenen eines irdisch-begrenzten Körpers zu empfinden, dessen 
	Flügelspannweite etwa einen Meter betrug und dessen Leistungsfähigkeit sich 
	mit Hilfe graphischer Darstellung berechnen ließ. Die Voraussetzung für das 
	Gelingen lag in dem Bewußtsein, daß das wahre Sein so vollkommen ist wie 
	eine nicht aufgeschriebene, wie eine abstrakte Zahl und überall zugleich 
	existiert, unabhängig von Zeit und Raum.  
	 
	Vom Morgengrauen an, noch vor Sonnenaufgang und lange bis nach Mitternacht 
	überließ Jonathan sich mit Leidenschaft seinen Versuchen. Aber alle seine 
	Anstrengungen halfen ihm nicht weiter. 
	 
	
	  
	«Vergiß alles Wissen», sagte ihm Chiang wieder und wieder. «Du hast es 
	nicht gebraucht, um zu fliegen, du hast einfach fliegen müssen. Und jetzt 
	ist es das gleiche. Versuche es noch einmal…»  
	 
	Und eines Tages war es soweit Jonathan. ruhte auf dem Strand aus. Mit 
	geschlossenen Augen versenkte er sich ganz in sich, und in jähem Begreifen 
	fühlte er, was Chiang gemeint hatte. «Natürlich. So ist es. Ich bin. Ich bin 
	eine vollkommene, durch nichts beschränkte Möwe!» Glück durchströmte ihn wie 
	ein heftiger Schreck.  
	 
	«Gut,» sagte Chiang. Seine Stimme klang triumphierend. Jonathan machte die 
	Augen auf. Er stand ganz allein neben dem Ältesten an einer gänzlich fremd 
	anmutenden Küste — Bäume wuchsen bis an den Saum des Ozeans hinab, und zu 
	Häupten kreiste ein Zwillingsgestirn gelber Sonnen.  
	 
	«So hast du es endlich erreicht», sagte Chiang, «aber du mußt noch weiter 
	daran arbeiten, dich selbst zu steuern…»  
	 
	Jonathan war überwältigt. «Wo sind wir?»  
	 
	Den Ältesten ließ die fremde Umwelt kühl. Er tat die Frage ziemlich 
	gleichgültig ab. «Wir sind auf irgendeinem Planeten, wie es scheint. Er hat 
	einen grünen Himmel und eine doppelte Sonne.» Jonathan stieß vor Entzücken 
	einen hellen Schrei aus, den ersten Laut, seit er die Erde verlassen hatte. 
	«Es ist gelungenl»  
	 
	«Natürlich ist es gelungen, Jon», sagte Chiang. «Es gelingt immer, wenn du 
	genau weißt, was du willst. Und nun zu der Selbststeuerung…»  
	 
	Als sie zurückkamen, war es schon dunkel. Die anderen Möwen betrachteten 
	Jonathan, und in ihren goldenen Augen stand ehrfürchtige Scheu. Sie hatten 
	gesehen, wie er urplötzlich von der Stelle, auf der er lange Zeit wie 
	angewurzelt verharrt hatte, verschwunden war. Er ließ sich aber nicht lange 
	bewundern. «Ich bin hier noch ein Neuling. Ich fange ja erst an. Ich bin es, 
	der von euch lernen muß.»  
	 
	«Ich bin aber doch überrascht», sagte Sullivan, der unweit von ihm stand. 
	«In all den zehntausend Jahren hab ich keine Möwe gesehen, die so furchtlos 
	alles Neue erlernen will wie du.» Die anderen Möwen nickten dazu. Jonathan 
	trippelte vor Verlegenheit von einem Fuß auf den anderen.  
	 
	«Wenn du willst, werden wir uns als nächstes mit der Zeit beschäftigen», 
	sagte Chiang. «Du wirst lernen, durch Vergangenheit und Zukunft zu fliegen. 
	Wenn dir das möglich ist, dann erst kannst du das Allerschwerste, das 
	Großartigste, das Schönste beginnen. Dann erst kannst du dich dazu 
	aufschwingen, das wahre Wesen von Güte und Liebe zu begreifen.»  
	 
	Ein Monat verging, oder vielmehr ein Zeitraum, der sich wie ein Monat 
	ausnahm. Jonathan lernte außerordentlich schnell. Er hatte schon sehr rasch 
	Fortschritte gemacht, als er noch aus der praktischen Erfahrung lernte, nun 
	aber, als Einzelschuler des Altesten selbst, verarbeitete er die neuen Ideen 
	wie ein stromlinienförmiger, gefiederter Computer.  
	 
	Doch dann kam ein Tag, an dem Chiang endgültig verschwand. Zuvor hatte er 
	noch einmal lautlos die ganze Gemeinschaft ermahnt, niemals das Lernen 
	aufzugeben, unentwegt weiter zu üben und danach zu streben, das vollkommene, 
	unsichtbare Prinzip alles Lebens zu erfahren. Dabei wurde sein Gefieder 
	lichter und lichter, und zuletzt erstrahlte es in solchem Glanz, daß die 
	Möwen geblendet die Augen abwenden mußten.  
	 
	«Jonathan, erlerne die Liebe.» Das waren seine letzten Worte. Als die 
	Blendung der Augen nachließ, weilte Chiang nicht mehr unter ihnen.  
	 
	Und die Zeit verrann. Immer häufiger mußte Jonathan jetzt an die Erde 
	zurückdenken, von der er einst gekommen war. Hätte er dort unten nur ein 
	Zehntel, nur ein Hundertstel von dem gekannt, was er jetzt wußte, wieviel 
	sinnvoller wäre sein Leben gewesen. Er stand im Sand und fragte sich, ob es 
	dort unten vielleicht wieder eine Möwe gäbe, die ihre Grenzen zu überwinden 
	trachtete, eine Möwe, der das Fliegen mehr bedeutete als nur Fortbewegung zu 
	dem Ziel, ein paar Brocken Brot von einem Fischkutter zu ergattern. 
	Vielleicht war wieder eine Möwe in Verbannung geschickt worden, weil sie 
	gewagt hatte, dem großen Schwarm die Wahrheit zu sagen. Und je länger 
	Jonathan sich um Güte bemühte, je mehr er danach strebte, das Wesen der 
	Liebe zu begreifen, desto größer wurde sein Verlangen, zur Erde 
	zurückzukehren. Trotz der Vereinsamung in seinem vergangenen Erdendasein war 
	Jonathan im Grunde der geborene Lehrer. So gab es für ihn nur eine einzige 
	Möglichkeit, der Liebe zu dienen: Er mußte die von ihm erkannte Wahrheit 
	weitergeben an eine Möwe, die auch die Sehnsucht nach Wahrheit in sich trug.
	 
	 
	
	  
	Sein Lehrer Sullivan war bereits Meister im gedankenschnellen Flug und 
	half den anderen bei ihren Übungen. Er hatte seine Zweifel.  
	 
	«Du bist früher auf der Erde ein Ausgestoßener gewesen, Jon. Wie kannst du 
	glauben, daß dir jetzt auch nur eine Möwe aus deiner Vergangenheit zuhören 
	würde? Du kennst doch das Sprichwort: Am weitesten sieht, wer am höchsten 
	fliegt. Dann steckt Weisheit. Die Möwen, von denen du abstammst, kleben am 
	Boden und zetern und streiten miteinander. Unendlich weit sind sie vom 
	Himmel entfernt — und da glaubst du, du kannst ihnen von ihrem Standort aus 
	den Himmel öffnen? Sie können doch nicht über ihre eigenen Flügelspitzen 
	hinausblicken. Bleib bei uns, Jon. Hilf den Anfängern hier. Sie sind schon 
	weiter, sie können erkennen, was du ihnen zeigen willst.»  
	 
	Er schwieg einen Augenblick, dann fuhr er fort: «Wenn Chiang in seine 
	früheren Welten zurück gekehrt wäre, wo warst du jetzt?»  
	 
	Diese Bemerkung gab den Ausschlag. Sullivan hatte recht. «Am weitesten 
	sieht, wer am höchsten fliegt.» So blieb Jonathan und arbeitete mit den 
	Neulingen, die alle klug und lernbegierig waren. Doch die alten Wünsche 
	kehrten wieder. Immer stärker und häufiger mußte er an die Erde zurückdenken 
	und daß ihn dort vielleicht ein oder zwei Möwen als Lehrer brauchten. 
	Wieviel weiter wäre er selber gekommen, wäre Chiang bei ihm in der 
	Verbannung gewesen.  
	 
	«Ich muß zurück, Sully», sagte er schließlich. «Deine Schüler entwickeln 
	sich gut. Sie können dir bei den Neulingen helfen.»  
	 
	Sullivan seufzte und widersprach nicht länger. «Du wirst mir sehr fehlen, 
	Jonathan.»  
	 
	«Schäm dich, Sully!» sagte Jonathan vorwurfsvoll. „Sei nicht töricht. Was 
	üben wir denn jeden Tag? Wäre unsere Freundschaft von Raum und Zeit 
	abhängig, dann taugte sie nichts mehr, sobald wir Raum und Zeit hinter uns 
	lassen. Überwinde den Raum, und alles, was uns übrigbleibt, ist Hier. 
	Überwinde die Zeit, und alles, was uns übrigbleibt, ist Jetzt. Und meinst du 
	nicht auch, daß wir uns im Jetzt und Hier begegnen könnten?»  
	 
	Trotz seines Kummers wurde Sullivan wieder fröhlich. „Du komischer, du 
	verrückter Vogel», sagte er zärtlich. „Wenn überhaupt einer den beschränkten 
	Möwen auf der Erde Weitblick beibringen kann, dann bist du es.» Er starrte 
	in den Sand. „Leb wohl, Jon, mein Freund.»  
	 
	«Leb wohl, Sully. Wir sehen uns wieder.» Im Geist sah er große Mowenschwärme 
	an den Küsten einer anderen Welt und Zeit. Aus langer Übung hatte er die 
	innere Gewißheit, daß er selbst kein Wesen aus Knochen und Federn mehr war, 
	sondern die reine Idee des freien Fluges, der keine Grenzen kennt.  
	 
	Auf der Erde lebte ein Möwenvogel, der hieß Fletcher Lynd Er war noch sehr 
	jung, doch hatte er schon böse Erfahrungen hinter sich und meinte, daß kein 
	anderer je so hart von seinem Schwarm behandelt, daß niemandem je solches 
	Unrecht angetan worden wäre.  
	 
	«Mir ganz gleich, was sie sagen», dachte er wütend, und ihm verschwamm alles 
	vor den Augen, als er auf die Fernen Klippen der Verbannung zuflog. «Fliegen 
	ist doch wichtiger als nur von einem Ort zum nächsten zu sausen. Das kann 
	jede Mücke! Eine kleine Rolle in der Luft rund um den Ältesten, nur so aus 
	Spaß, und schon haben sie mich ausgestoßen. Sind sie denn blind? Können sie 
	sich das Glück gar nicht vorstellen, das richtiges Fliegen mit sich bringt? 
	Mir ganz gleich, was sie denken. Ich werde ihnen zeigen, was Fliegen heißt. 
	Ich breche das Gesetz — sie wollen es ja nicht anders. Das wird ihnen noch 
	leid tun…»  
	 
	Da vernahm er eine Stimme, die aus seinem Innern zu kommen schien. Sie tönte 
	ganz sanft und erschreckte ihn doch so sehr, daß er erstarrte und durch die 
	Luft taumelte.  
	 
	«Denk nicht so hart über sie, Möwe Fletcher Lynd, die anderen haben sich nur 
	selbst geschadet, als sie dich ausstießen. Eines Tages werden auch sie 
	begreifen, eines Tages werden auch sie sehen, was du siehst. Vergib ihnen 
	und hilf ihnen.»  
	 
	Kaum einen Zoll entfernt von ihm segelte wie schwerelos und ohne eine 
	einzige Feder zu ruhren die reinste, strahlendste Möwe der Welt. Mühelos 
	hielt sie sein Tempo, das für ihn schon Höchstgeschwindigkeit war.
	 
	
	  
	Der junge Vogel war völlig verwirrt.  
	 
	«Was ist das? — Traume ich? Bin ich tot? Was ist das?»  
	 
	Leise und ruhig tönte die Stimme aus seinem Herzen fort und verlangte nach 
	Antwort. «Möwe Fletcher Lynd, willst du fliegen?»  
	 
	«Ja, ich will fliegen!» «Willst du es so sehr, daß du bereit bist, deinem 
	Schwarm zu vergeben, da du lernen willst und nur lernen und dann zu ihnen 
	zurückzukehren und ihnen helfen, damit auch sie verstehen?»  
	 
	Diesem glorreichen, überlegenen Wesen gegenüber gab es kein Ausweichen. So 
	sehr der junge Vogel auch noch an seinem gekränkten Stolz litt, er mußte 
	nachgeben.  
	 
	«Ich bin bereit.»  
	 
	«Nun,» erklang es liebevoll aus dem strahlenden Wesen, «dann wollen wir mit 
	dem Horizontalflug beginnen…» 
	 
	 
	III   
	
	  
	Jonathan kreiste langsam  
	 
	über den fernen Klippen und sah aufmerksam in die Höhe. Dieser widerborstige 
	junge Fletcher war ein Flugschüler, wie man ihn sich besser nicht wünschen 
	konnte. Er war leicht und kräftig und flink in der Luft, aber weit wichtiger 
	war, daß er nichts sehnlicher wünschte, als richtig fliegen zu lernen.  
	 
	Da tauchte er auf, ein verwischter grauer Fleck im sausenden Sturzflug. Er 
	schoß an seinem Lehrer vorbei, zog dann unvermittelt wieder hoch zu einem 
	neuen Versuch mit einer vertikalen langsamen Rolle mit sechzehn Umdrehungen. 
	Er zählte die Umdrehungen laut mit.  
	 
	«acht…neun…zehn…Jonathan, Jonathan, die Geschwindigkeit reicht nicht 
	aus…elf…ich will-kurze-scharfe-Stops-wie-du…zwölf…verdammt-ich 
	krieg's-nicht-hin…dreizehn…noch…drei ohne vierzehn…aaakk!»  
	 
	Die letzte Drehung schlug durch seinen Ärger und seine Wut über das Versagen 
	völlig fehl. Fletcher kippte nach hinten um, taumelte, trudelte, warf sich 
	wutentbrannt in einen einwärtsdrehenden Kreiselflug und fing sich endlich 
	krächzend einige hundert Meter unterhalb von seinem Lehrer ab.  
	 
	«Du vergeudest deine Zeit mit mir, Jonathan! Ich bin zu dumm! Ich bin ein 
	Idiot! So oft ich es auch probiere, ich kriege es nicht hin!»  
	 
	Jonathan blickte zu ihm hinab und nickte. «Du wirst es bestimmt nicht 
	schaffen, so lange du so hart hochziehst. Du verlierst zu viel 
	Geschwindigkeit, bevor du die Rolle beginnst. Du mußt weicher sein, 
	Fletcher! Energisch, aber nicht krampfhaft! Denk daran.» Er senkte sich zu 
	der jungen Möwe hinab. «Versuchen wir es gemeinsam, in Formation. Achte 
	genau auf das Hochziehen. Man muß weich und leicht hineingehen.»  
	 
	Drei Monate waren vergangen. Jonathan hatte inzwischen sechs weitere 
	Schüler, lauter Außenseiter, die aus Freude am Fliegen neugierig waren auf 
	die seltsamen neuen Ideen. Freilich war es für sie leichter, die hohe Kunst 
	zu erlernen, als die Idee zu erfassen, die dahinterstand.  
	 
	«In jeder einzelnen von uns ist in Wahrheit das Ideal der Großen Möwe, die 
	unbegrenzte Idee der Freiheit», erklärte Jonathan ihnen abends auf dem 
	Strand wieder und wieder.  
	 
	«Der Präzisionsflug ist nur ein Schritt weiter in der Darstellung unserer 
	wahren Natur. Wir müssen alle Begrenzung hinter uns lassen. Deshalb üben wir 
	Spitzengeschwindigkeiten, Langsamflug und Flugakrobatik…»  
	 
	...und seine Schüler schliefen dabei ein, erschöpft vom Tagespensum. Sie 
	liebten ihre Übungsstunden, die aufregenden Geschwindigkeiten, die ihren 
	Hunger nach mehr Können von Stunde zu Stunde erhöhten. Aber nicht einer von 
	ihnen konnte glauben, daß der Gedankenflug ebenso Reales sei wie die 
	Bewegung ihrer Schwingen, die sie durch die Lüfte trugen.  
	 
	«Der ganze Körper ist von einer Flügelspitze zur anderen nichts anderes als 
	Gedanke», sagte Jonathan. «Geist in sichtbarer Gestalt. Durchbrecht die 
	Beschränktheit eures Denkens, und ihr zerbrecht damit auch die Fesseln des 
	Körpers…» Aber was er ihnen auch sagte, es klang nur wie wunderschöne 
	Phantasien, die sie angenehm einschläferten.
	 
	
	  
	Nach einem Monat erklärte Jonathan, die Zeit sei reif, um zum Schwarm 
	zurückzukehren. «Wir sind noch nicht so weit!» sagte die Möwe Henry. «Man 
	will uns da nicht haben. Wir sind ausgestoßen. Wir wollen uns nicht 
	aufdrängen, wo man uns nicht haben will.» «Wir sind frei, wir können 
	fliegen, wohin wir wollen, und sein, was wir sind», erwiderte Jonathan. Er 
	hob sich vom Sand ab und wandte sich gen Osten zu den Heimatgründen des 
	Schwarmes. Seine Schüler zauderten. Die Gesetze des Schwarmes erlauben 
	keinem Verbannten jemals die Heimkehr, und noch nie hatte einer sie zu 
	brechen gewagt. Das Gesetz befahl ihnen, zu bleiben; Jonathan gebot ihnen 
	heimzufliegen. Er hatte schon eine große Strecke zurückgelegt, wenn sie noch 
	länger zögerten, würde er allein bei dem feindlich gesinnten Schwarm 
	eintreffen. Fletcher Lynd meinte betont selbstsicher: „Eigentlich brauchen 
	wir dem Gesetz gar nicht zu gehorchen, schließlich gehören wir dem Schwarm 
	ja gar nicht mehr an.» «Und wenn es zu einem Kampf kommt, müssen wir 
	Jonathan dort helfen.»  
	 
	Und so flogen sie denn an jenem Morgen von Westen her ein, acht Möwen in 
	einer doppelten Formation; die Flügelspitzen überlagerten einander fast. 
	Pfeilschnell überflogen sie den Versammlungsplatz des Schwarms, Jonathan 
	hielt die Spitze, Fletcher glitt leicht an seinem rechten Flügel dahin, und 
	Henry hielt sich tapfer an seinem linken Flügel. Dann rollte die 
	geschlossene Formation wie ein einziger Vogel langsam rechts ab…zog 
	gerade…drehte nochmals…und wieder gerade. Und der Wind peitschte über sie 
	hinweg.  
	 
	Das alltägliche Gekrächz und Gekrakel des Schwarms verstummte wie 
	abgeschnitten, als ob die Formation ein Riesenmesser wäre. Viertausend 
	Augenpaare starrten ohne zu blinkern zu ihnen empor. Die acht weißen Vögel 
	zogen nun einer nach dem anderen im steilen Winkel hoch zum Überschlag in 
	ein volles Looping, schwebten durch eine vollkommene Kreisbahn und setzten 
	alle exakt gleichzeitig in einer unglaublich langsamen Landung auf dem Sande 
	auf. Als sei das alles etwas ganz Alltägliches, begann Jonathan ihre 
	Flugleistung zu anaiysieren.  
	 
	«Erstens», sagte er trocken, «seid ihr alle beim Aufschließen etwas zu spät 
	dran gewesen.» Der Schwarm war wie vom getroffen. Das sind die ausgestoßenen 
	Vögel. Sie kommen einfach zurück Das kann es doch nicht geben. Der Schwarm 
	war völlig verwirrt und wie erstarrt. Fletchers Kampfansage bewahrheitete 
	sich nicht.  
	 
	Ein paar jüngere Möwen krächzten: «Und wenn es zehnmal die Verbannten sind, 
	wo haben die so fliegen gelernt?»  
	 
	Es dauerte fast eine Stunde, bis der Befehl des Ältesten sich im ganzen 
	Schwarm herumgesprochen hatte: Ignorieren! Jede Möwe, die mit einem 
	Verbannten redet, wird ausgestoßen. Jede Möwe, die einen Verbannten auch nur 
	ansieht, bricht das Gesetz des Schwarms. Immer mehr Möwen wandten ihre 
	graugefiederten Rücken Jonathan zu, aber er beachtete das gar nicht und 
	hielt seine Übungsstunde direkt über dem Versammlungsplatz der Möwen ab. Er 
	holte aus seinen Schülern das Äußerste heraus, trieb sie bis an die Grenze 
	ihrer Kräfte. «Möwe Martin, du glaubst, du beherrschst den Langsamflug? 
	Beweis es. Los. Fliegen.»  
	 
	Der schüchterne kleine Vogel Martin war tief erschrocken, daß er so in das 
	Schußfeld seines Mentors geraten war. Er mußte allen Mut zusammenreißen und 
	wurde zu seiner eigenen Überraschung ein wahrer Hexenmeister im Langsamflug. 
	Selbst in leisester Brise vermochte er die Schwingfedern so zu stellen, daß 
	sich ohne einen Flügelschlag vom Sand emporhob und hoch zu den Wolken 
	hinaufsegelte und wieder zurück. Auch die Möwe Charles schwebte auf dem 
	Großen Bergwind so hoch hinauf, daß sie zitternd vom Kälte, überrascht von 
	der eigenen Leistung und überglücklich herunterkam, fest entschlossen, 
	morgen noch höher hinaufzusteigen.  
	 
	
	  
	Fletcher liebte vor allem die Flugakrobatik Auch er überbot mit sechzehn 
	Umdrehungen beim Langsamrollen in der Vertikale seinen eignen Rekord. Am 
	folgenden Tag schloß er sogar mit einem dreifachen Radschlag ab, wie ein 
	blendender weißer Sonnenstrahl kreiste er über dem Strand, von dem ihn mehr 
	als ein Augenpaar verstohlen beobachtete.  
	 
	Jonathan war ständig bei seinen Schülern, demonstrierend, beschwörend, 
	antreibend, leitend. Aus Sport flog er mit ihnen durch Nacht und Wolken und 
	Stürme, während sich die Möwen des Schwarms armselig auf dem Erdboden 
	aneinanderdrängten.  
	 
	Nach den Flugstunden ruhten sich die Schüler mit ihrem Lehrer immer auf dem 
	Strand aus, und allmählich hörten sie doch zu, wenn er ihnen seine Ideen 
	entwickelte. Einige klangen ziemlich verrückt, sie verstanden sie nicht, 
	einige aber begriffen sie schon. Mit der Zeit bildete sich nachts ein 
	zweiter Kreis um den Ring der Schüler, ein Kreis aus neugierigen jungen 
	Möwen, die im Schutz der Dunkelheit stundenlang zuhörten. Sie wollten nicht 
	gesehen werden und selbst niemanden sehen und schlichen sich vor 
	Morgengrauen verstohlen davon. Und eines Tages überschritt die erste Möwe 
	aus dem Schwärm die Grenzlinie zum inneren Ring und bat um Aufnahme in die 
	Lehrstunde. Dadurch gehörte nun auch die MöweTerrence zu den Verbannten 
	unter den Vögeln, war behaftet mit dem Makel des Ausgestoßenen und wurde 
	gleichzeitig der achte Schüler Jonathans.  
	 
	Eine kranke Möwe gab es im Schwärm, sie hieß Kirk Maynard. Sie watschelte in 
	der folgenden Nacht mit hängendem linken Flügel über den Sand heran und 
	plumpste vor Jonathan in den Sand. «Hilf mir», krächzte sie matt wie ein 
	Sterbender. «Ich wünsche nichts in der Welt so sehr, wie fliegen zu 
	können..»  
	 
	«Dann komm», sagte Jonathan. «Steig mit mir vom Boden auf, fangen wir an».
	 
	 
	«Du hast mich nicht verstanden. Mein Flügel. Er ist gelähmt.»  
	 
	«Möwe Maynard, du bist frei. Sei, was du bist, entfalte dein wahres Selbst — 
	jetzt und hier, und nichts kann dir im Wege stehen. So will es das Gesetz 
	der Großen Möwe, das Gesetz des Seins.»  
	 
	«Willst du sagen, daß ich fliegen kann?»  
	 
	«Ich sage, du bist frei.» Und Kirk Maynard breitete die Flügel aus, ganz 
	einfach und rasch und erhob sich mühelos in die dunkle Nachtluft.  
	 
	Sein Jubel riß den Schwarm aus dem Schlaf. Aus großer Höhe erklang sein 
	machtvoller Schrei: «Ich kann fliegen! Hört, ich kann fliegen!»  
	 
	Bei Sonnenaufgang standen fast tausend Vögel um den Ring der Schüler und 
	starrten Kirk Maynard neugierig an. Sie achteten nicht mehr darauf, ob man 
	sie dabei sah oder nicht, sie hörten dem Unterricht zu und suchten zu 
	verstehen.  
	 
	Jonathan sprach von einfachen Dingen — daß Möwen zum Fliegen da sind, daß 
	die wahre Natur ihres Wesens Freiheit ist, daß sie alles, was dieser 
	Freiheit im Wege steht, abtun müssen, Sitten und Bräuche und jegliche 
	Beschränkung.  
	 
	«Was heißt abtun?» erklang eine Stimme aus dem Schwarm. «Sollen wir das 
	Gesetz des Schwarmes nicht achten?»  
	 
	«Es gibt nur ein wahres Gesetz, das in die Freiheit führt», sagte Jonathan. 
	«Es gibt kein anderes.»  
	 
	«Wie kannst du erwarten, daß wir so fliegen wie du?» fragte eine andere 
	Stimme. «Du bist ein Auserwählter, ein Begabter, ein Göttlicher, hoch über 
	allen anderen Vögeln.»  
	 
	«Seht Fletcher an. Lowell. Charles. Sind sie alle auserwählt, begabt und 
	göttlich? Sie sind nicht anders als ihr, nicht anders als ich. Der einzige 
	Unterschied ist, daß sie ihre eigentliche Natur zu erkennen beginnen und 
	angefangen haben, danach zu handeln.»  
	 
	Die Schüler trippelten unbehaglich hin und her, nur Fletcher nicht. Es war 
	ihnen noch gar nicht bewußt geworden, was sie eigentlich unternommen hatten.
	 
	 
	Die Menge wurde täglich größer, stellte Fragen, bewunderte, beschimpfte.  
	 
	«Im Schwarm behaupten sie» erzählte Fletcher seinem Lehrer nach einer 
	Lehrstunde im Geschwindflug für Fortgeschrittene, «wenn du nicht göttlicher 
	Herkunft bist, dann bist du zumindest deiner Zeit um Jahrtausende voraus.»
	 
	 
	Jonathan seufzte. Das ist der Preis, dachte er, man wird mißverstanden, wird 
	für einen Teufel gehalten oder für einen Gott. «Und was denkst du, Fletcher 
	— sind wir unserer Zeit voraus?»  
	 
	Langes Schweigen lastete. Endlich kam die Antwort. «Die Kunst des Fliegens 
	ist real und jederzeit für jeden erlernbar, dem der Sinn danach steht; das 
	hat nichts mit der Zeit zu tun. Wir sind den anderen vielleicht weit voraus 
	in der Form, in der Art des Fliegens.»  
	 
	«Das klingt schon besser», sagte Jonathan und zog schwebend und glänzend 
	seine Kreise. «Das hast du nicht schlecht ausgedrückt.»  
	
	  
	Genau eine Woche später geschah etwas. Fletcher demonstrierte vor neuen 
	Schülern die Grundsätze des pfeilschnellen Fluges. Er hatte sich nach einem 
	rasenden Sturzflug elegant abgefangen, schoß ein paar Zentimeter über dem 
	Sand waagrecht dahin. Es war, als zeichne er einen grauen Strich in die 
	Luft. Da geriet ihm ein junger Vogel direkt in die Flugbahn. Es war sein 
	erster Gleitflug, jämmerlich schrie er nach seiner Mutter. Ein Zusammenstoß 
	schien unvermeidlich. Im Bruchteil einer Sekunde verriß Fletcher scharf nach 
	links und prallte in höchster Geschwindigkeit gegen eine Klippe aus Granit. 
	Er empfand keinen Schmerz. Es war, als sei der Felsen ein gewaltiges ehernes 
	Tor zu einer anderen Welt. Er ertrank in einer Woge aus Entsetzen und 
	Schrecken, alles wurde schwarz, dann fand er sich in einem sehr seltsamen 
	Himmel treibend und vergaß, was geschehen war, und erinnerte sich und 
	vergaß, betrübt und bang und traurig und voll Reue. Und da ertönte wieder 
	die Stimme in ihm und neben ihm wie an jenem ersten Tag, da er Jonathan 
	begegnet war. «Wir müssen versuchen, unsere Grenzen in der rechten Ordnung 
	geduldig zu überwinden. Einen Felsen zu durchfliegen, das ist noch zu früh, 
	das ist ein späterer Lehrstoff.  
	 
	«Jonathan.»  
	 
	«Jawohl, angeblich der Göttliche», erwiderte sein Lehrer trocken.  
	 
	«Was machst du hier? Die Klippe? Bin ich nicht eben.. .bin ich nicht tot?»
	 
	 
	«Ach, du närrischer Vogel. Denk nach. Wenn du jetzt mit mir reden kannst, 
	bist du doch nicht tot. Was dir da eben geglückt ist, ist nur ein Wechsel 
	der Bewußtseinsebene. Allerdings ziemlich heftig. Jetzt darfst du wählen. Du 
	kannst bleiben und auf dieser Ebene weiterlernen, die beträchtlich höher ist 
	als die frühere, oder du kannst zurückkehren und bei deinem Schwarm weiter 
	lehren. Die Ältesten haben immer gewartet, daß es ein Unglück geben würde, 
	jetzt sind sie zufrieden, daß du ihnen den Gefallen getan hast».  
	 
	«Ich will zurück zum Schwärm, selbstverständlich. Ich habe doch mit disr 
	neuen Gruppe eben erst angefangen».  
	 
	«Sehr gut, mein Sohn. Denk daran, was du gelernt hast: Der Körper ist nur 
	der personifizierte Gedanke…» Fletcher schüttelte verwirrt den Kopf, spannte 
	die Flügel aus und öffnete die Augen. Und er befand sich wieder am Fuß der 
	Klippe. Um ihn hatte sich der SchwArm versammelt. Als er sich bewegte, lief 
	ein gewaltiges Getöse aus Krächzen und Kreischen durch die Menge.  
	 
	«Er lebt! Er, der schon tot war, lebt!» «Der Göttliche hat ihn nur mit der 
	Flügelspitze berührt. Er hat ihn zum Leben erweckt.»  
	 
	«Nein. Er leugnet seine göttliche Herkunft. Er ist der Teufel. DerTeufel, 
	der die Gemeinschaft des Schwarms zerbrechen will.» Die Masse der Möwen 
	fürchtete sich wegen der Dinge, die sich zugetragen hatten.  
	 
	Der Schrei Teufel! lief wie ein Wind durch die Menge, brauste wie der 
	Sturmwind vom Meer. Augen starrten glasig, scharfe Schnäbel rückten enger 
	zusammen. Mord drohte.  
	 
	«Möchtest du fort, mein Sohn?» fragte Jonathan. «Ja, es wäre wohl besser». 
	Im selben Augenblick schwebten sie beide eine halbe Meile weit entfernt, und 
	die scharfen Schnäbel des Pöbels stachen ins Leere.  
	 
	«Warum ist es nur so furchtbar schwer, einen Vogel von seiner Freiheit zu 
	überzeugen», sagte Jonathan sinnend. «Jeder ist frei und kann seine Freiheit 
	nutzen — er muß sie nur üben. Ist das denn wirklich so schwierig?» Fletcher 
	blinzelte, noch schwindlig vom raschen Wechsel der Umgebung. «Was hast du 
	jetzt gemacht? Wie sind wir hierhergekommen?» «Du wolltest doch weg von 
	diesem mordlustigen Pöbel?»  
	 
	«Gewiß, aber wie hast du... « «Wie? Genauso wie alles andere, Fletcher. Es 
	ist Übung.»  
	 
	Im Laufe des Morgens vergaß der Schwarm seine Tollheit wieder, doch Fletcher 
	nicht.  
	 
	«Jonathan, erinnerst du dich, was du mir vor sehr langer Zeit einmal gesagt 
	hast — daß man den Schwarm so sehr lieben muß, daß man zurückkehrt und ihm 
	hilft?» «Sicher» «Ich begreife nicht, wie du einen Mob lieben kannst, der 
	eben noch versucht hat, dich umzubringen» «Oh, Fletcher, den Mob liebt man 
	nicht! Man liebt nicht den Haß und das Böse, natürlich nicht. Du bist noch 
	unerfahren, du mußt dich ständig bemühen, die wahre Möwe, den guten Kern in 
	jeder einzelnen von ihnen, zu erkennen. Du mußt ihnen helfen, sich selbst zu 
	sehen. Das meine ich mit Liebe. Hat man sie gefunden, dann macht alles 
	Freude. Ich kannte einmal einen wilden jungen Vogel, der hieß Fletcher Lynd. 
	Er war ausgestoßen aus seinem Schwärm, und er faßte seine Artgenossen 
	deswegen und wollte sie bis auf den Tod bekämpfen. Und damit schuf er sich 
	seine eigene bittere Hölle draußen auf den Fernen Klippen. Und heute ist er 
	hier und ist dabei, sich seinen eigenen Himmel zu erbauen, weil er seinen 
	Schwarm auf den richtigen Weg führen will».  
	 
	Fletcher sah seinen Lehrer an. In seinen Augen blitzte sekundenlang die 
	Angst auf. «Ich — sie führen? Was meinst du damit, daß ich sie führen soll? 
	Du bist hier der Lehrer. Du könntest sie nicht verlassen».  
	 
	«Könnte ich nicht? Zahllose Schwärme gibt es und zahllose ruppige Möwen wie 
	einst jener Fletcher. Meinst du nicht auch, daß sie mich mehr brauchen als 
	diese da, die schon unterwegs sind zum Licht?»  
	 
	«Aber ich? Jon, ich bin nur eine gewöhnliche Möwe, du... «  
	 
	«Bist ein Göttlicher, willst du sagen?» Jonathan seufzte und sah über das 
	Meer hinaus. «Du brauchst mich nicht mehr. Was du brauchst, ist 
	Selbstvertrauen. Finde zu dir selbst täglich ein wenig mehr Finde die wahre, 
	unbegrenzt freie Möwe Fletcher. Sie wird dein Lehrer sein.» Und Jonathans 
	Körper flimmerte in der Luft, erstrahlte und wurde durchsichtig. «Laß nicht 
	zu, daß sie dumme Gerüchte über mich verbreiten oder mich zum Gott erklären. 
	Ich bin nur eine Möwe. Ich liebedas Fliegen, vielleicht…»  
	 
	«Jonathan!»  
	 
	«Mein armer Sohn. Trau deinen Augen nicht. Was immer sie dir zeigen, es ist 
	nur Begrenztheit. Trau deinem Verstand, hebe ins Bewußtsein, was in dir ist, 
	und du wirst wissen und fliegen.»  
	 
	Der Strahlenglanz erlosch. Die Möwe Jonathan hatte sich in Luft aufgelöst. 
	Und ihr Schüler flog schwerfällig auf, wandte sich unter grauem Himmel 
	heimwärts und nahm seine Pflicht bei neuen Schülern auf, die begierig auf 
	ihre erste Lehrstunde warteten. Ernst und bedrückt begann er. «Ihr müßt vor 
	allem verstehen, daß die Möwe die absolute Idee der Freiheit ist, das Abbild 
	der Großen Möwe. Und der Körper ist von Flügelspitze zu Flügelspitze nichts 
	weiter als der Gedanke selbst.»  
	 
	Die jungen Möwen blickten ihn unsicher an. Hallo, dachten sie, das klingt 
	aber gar nicht nach Flugregeln. Fletcher seufzte und wollte noch einmal von 
	vorn anfangen. «Ja — na schön», sagte er plötzlich und musterte sie 
	kritisch. «Fangen wir mit dem Tiefflug an.» Und indem er das sagte, begriff 
	er urplötzlich, daß sein Freund wahrhaftig nicht um ein Haar göttlicher 
	gewesen war als er selbst.  
	 
	Keine Grenzen, Jonathan, dachte er. Die Zeit ist nicht mehr fern, da auch 
	ich aus der durchsichtigen Luft heraus auf deinem Strand erscheinen und dir 
	zeigen kann, was Fliegen in Freiheit bedeutet. Und obwohl er sich vor seinen 
	Schülern streng gab, sah er sie plötzlich alle so, wie sie wirklich waren. 
	Und was er in ihnen sah, erfüllte ihn über Anerkennung hinaus mit tiefer 
	Liebe. Grenzenlos. Jonathan, dachte er und war glücklich. Der Weg zur 
	Erkenntnis war beschritten, der Kampf in ständigem Lernen hatte begonnen.
	 
	 
	
	  
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